FTD: Arbeitsmigration – Danke, dass ihr kommt (mit Kommentaren der Leser)

Kolumne Ines Zöttl – Danke, dass ihr kommt
von Ines Zöttl
Ines Zöttl leitet das Team Internationale Politik der Financial Times Deutschland

Griechen, Portugiesen und Spanier verlassen massenhaft ihre Heimat und gehen nach Deutschland. Das ist gut so, denn Arbeitsmigration ist für eine Währungsunion unabdingbar.

Weil sie die Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat nicht länger hinnehmen wollen, machen sich Tausende Spanier, Portugiesen und Griechen auf in eine bessere Zukunft. Die Entscheidung fällt keinem leicht: “Im Zug gab es alles, aber überwiegend Traurigkeit. Man tröstete einander. Über die Gründe der Migration wurde nicht gesprochen. Niemand wollte sagen, dass er aus Not nach Deutschland kam”, erzählt eine junge Spanierin.
Das Zitat stammt aus den 60er-Jahren, bewahrt vom Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland. Fünf Jahrzehnte später – gerade haben wir das Jubiläum des türkischen Anwerbeabkommen gefeiert – ist es wieder so weit: Aus den Euro-Krisenstaaten hat ein Auswandererstrom eingesetzt.

Fast eine Million Menschen sind 2011 nach Deutschland gezogen; die größten Gruppen stellten Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn. Aber auch viele Südländer versuchen ihr Glück im kalten Norden: Fast 33.000 kamen aus Italien, über 28.000 aus Spanien und über 25.000 aus Griechenland, 90 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Die Zahl der zugewanderten Griechen (die Statistik spricht genauer von “Ausländern aus Griechenland”) klingt gar nicht so hoch. Doch bezogen auf die erwerbstätige Bevölkerung sind das 0,6 Prozent. Zum Vergleich: Hierzulande wären das 250.000 Deutsche, die ihre Koffer packen.

Der Trend dürfte sich beschleunigen: Nach einer Umfrage des Trendence-Instituts will mehr als jeder zweite Absolvent eines technischen Studiengangs Griechenland verlassen; in Spanien, Portugal und Italien sind es um die 40 Prozent. Auch angehende Ärzte flüchten in Scharen.

Und das ist gut so. Denn was derzeit passiert, gehört zu den Grundlagen der Europäischen Währungsunion: Ohne Arbeitsmigration kann eine gemeinsame Währung nicht funktionieren. Denn der Königsweg, um eine Rezession, wie sie Griechenland durchleidet, zu überwinden, ist den Euro-Mitgliedern versperrt: die Abwertung. Andere Mechanismen müssen an deren Stelle treten. Einer ist die Lohnflexibilität: Die Löhne sinken, die Firmen können billiger produzieren, also billiger verkaufen, das feuert die Wirtschaft an. Der andere Anpassungsweg ist Migration: Die Arbeitskräfte bewegen sich dorthin, wo es Arbeit gibt. Diese “Faktormobilität” hat der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Mundell in seiner Theorie optimaler Währungsräume zum wesentlichen Kriterium erklärt.

Anders als in den USA ist die Faktormobilität in Europa aber traditionell wenig ausgeprägt: “Die Arbeitskräftewanderungen innerhalb der EU waren relativ gering”, konstatiert eine Studie der Deutsche Bank Research vom August 2011. Bei Interrail ist die Rückfahrkarte inklusive.

Was an Wanderung im Binnenraum stattfand, das basierte bisher vor allem auf Nicht-EU-Staatsangehörigen: Lateinamerikaner zum Beispiel, die Spanien verließen. DB Research hat errechnet, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien ohne den höheren Wanderungstrend um 1,7 Prozentpunkte höher gelegen hätte, in Irland sogar bis zu 3,5 Prozentpunkte.

Doch die Krise sorgt dafür, dass Europa nun in Bewegung gerät: Und es sind vor allem Junge und Gutausgebildete, die es über die Grenzen zieht. Nach einer Eurobarometer-Umfrage unter 15- bis 35-Jährigen von 2011 wollen aufgrund der schlechten Arbeitsmarktperspektiven 53 Prozent temporär oder dauerhaft im europäischen Ausland arbeiten.

Dabei gewinnen alle: Die Politiker der Herkunftsländer müssen sich nicht mit schlecht gelaunten Arbeitslosen herumschlagen, sie sparen Sozialausgaben, und meist trudelt auch reichlich Geld von den in der Fremde Arbeitenden zu Hause ein. Die Zielländer, allen voran Deutschland, bekommen die Facharbeiter, die sie so dringend suchen. Ängste vor einem dauerhaften Braindrain sind übertrieben. Die Arbeitsemigranten erwerben im Ausland in der Regel Zusatzqualifikationen – und sei es nur die Sprache des anderen Landes.

Und als Zugabe für die europäische Idee gibt es noch kulturellen Austausch und gegenseitiges Kennenlernen. Die Euro-Krise hat gezeigt, dass es reichlich Nachholbedarf gibt. Darum, liebe Griechen: Kalos orisate, danke, dass ihr kommt. Wir haben ein bisschen dazugelernt in den letzten Jahrzehnten: Eure Zähne müsst ihr bei der Einreise nicht mehr prüfen lassen. Migration, das kann auch so sein: “Die ganze Fahrt haben wir gefeiert. Wir haben uns auf das, was kommen würde, gefreut”, sagt der junge Portugiese Palhinhas. Das war in den 60er-Jahren.

Kommentare der Leser des Artikels
•    26.07.2012 18:26:37 Uhr   Franz Metz: Aua
Von zehn Kommentaren treten Ihnen neun entschieden entgegen. Was für ein Trost auf diesen gruseligen Text. Sicher gibt es für solche Kolumnen in China oder Russland noch viele Jahre großen Bedarf.

•    26.07.2012 17:39:56 Uhr   Jens Schmidt: und die Wirklichkeit, mal verglichen?
Ich hab ja schon viel Unsinn gelesen, aber diese Realitätsverweigerung übertrifft alles:
“Einer ist die Lohnflexibilität: Die Löhne sinken, die Firmen können billiger produzieren, also billiger verkaufen, das feuert die Wirtschaft an.”
Frau Zöttl sollte wegen erwiesener Unfähigkeit ihre Vorstellungen mit der Realität zu vergleichen (nämlich einer ungebremsten Rezession in den Ländern) die Möglichkeit bekommen, selbst ihre Medizin (“Lohnflexibilität”) zu nehmen und zwar reichlich.
Das wird helfen, ihre Denkleistungen etwas zu steigern und zu erfassen was wirklich passiert:
Die Löhne sinken, die Firmen könnten billiger produzieren, aber für wen, sie können ja nur weniger verkaufen.. und diesen realen Vorgang, kann man im Gegensatz zum dämlichen “das feuert die Wirtschaft an” am tatsächlichen BIP ablesen – weil Schlauberger wie Frau Zöttl die Medizin nicht erhalten, aber allen anderen zugleich vorschlagen.
Das sollten wir unbedingt umkehren.

•    26.07.2012 13:13:47 Uhr   Gernot Meyer: Was Frau Zöttl übersieht
der wirtschaftlichen Gesundung der Herkunftsländer wird das nicht helfen, im Gegenteil , sie veröden. Siehe Mecklenburg-Vorpommern nach der Vereinigung. Wohin will Deutschland exportieren, wenn keiner mehr bestellt? Da nützt auch die Selbstausbeutung per Target2 nichts mehr.

•    26.07.2012 12:57:42 Uhr   Kookys: Menschenverachtend!
Da wird der Mensch zur Ware.
Verdeckte Sklaverei ist das!
Hat die Autorin schon einmal etwas von Menschenrechten gehört?

•    26.07.2012 11:54:51 Uhr   Hajoe: Neoliberaler Quatsch
Armutmigration soll toll sein? Die Leute verlassen ihr gewohntes Umfeld, ihre Freunde, Familie etc. nicht weil sie abteuerlustig sind und mal was Neues erleben wollen, sondern weil sie müssen. Wie menschenerachtend ist das denn? Diese “Fachkräfte” helfen bei der Lohndrückerei hierzulande (um nichts anderes handelt es sich bei dem Geschwafel um den angeblichen “Fachkräftemangel”), worauf die deutsche Wettbewerbsfähigkeit weiter steigt und die Leistungsbilanzen sich weiter auseinanderentwickeln. Na den Rest kennen wir ja.

•    26.07.2012 11:36:55 Uhr   Tinka: Stark vereinfachend
Natürlich ist Arbeitskräftemobilität eine wichtige Kompenente für Lohnflexibilität in einem funktionierenden Währungsraum. Wenn allerdings gut ausgebildete (und im Gegensatz zu den 50er und 60er Jahren sind es vor allem diese) Jugendliche in Scharen ihre südeuropäische Heimat verlassen, in Portugal z.B. fast 1% der Erwerbsbevölkerung in wenigen Monaten, ist dies durchaus bedenklich für diese Länder. Man muss sich hier schon die Mühe machen, dass Profil der Wanderungsbewegung genauer anzusehen. Diese Leute sind nämlich nicht nur potentielle Arbeitskräfte, die ohnehin arbeitslos geworden wären, sondern auch potentielle Unternehmer oder Investoren, die ihrerseits die Nachfrage für Arbeitskräfte stimulieren könnten oder für int. Investoren wichtig sind. Für Deutschland, keine Frage, ist der Zustrom junger, europäischer, gut ausgebildeter Leute angesichts der Bevölkerungsalterung wunderbar. Aber auch Spanien, Portugal oder Griechenland benötigen eben gerade diese Leute, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, internationale Investoren anzulocken oder selbst innovativ tätig zu werden. Dies wird diese Länder in ihrem wirtschaftlichen Aufholprozess weiter zurückwerfen.
 
•    26.07.2012 11:28:35 Uhr   ledavi: Hallo ?
Zu so einem Beitrag fällt mir garnichts mehr ein. Unsere nationale Identität wird restlos zerstört, Lohndrücker wandern von allen Seiten in unser Land ein und Asylbewerber dürfen jetzt auch eher arbeiten. Europa und vor allem Deutschland wird zum Paradies von Großindustrie und Großkapital, in dem entwurzelte Arbeitssklaven Frondienste leisten. Warum will denn kein intelligenter Mensch mehr Kinder in dieses Land setzen?

•    26.07.2012 11:13:01 Uhr   Hans-Werner Klausen: Unfassbar
Mit Verlaub: Unfassbar wieviel Dummheit doch in dieser Autorin steckt! Da existieren funktionierende Strukturen seit eh und je, und wie beobachten gemeinsam wie durch Hirngespinste wie Globalisierung (sprich: globale Gier) alles zerstört wird, was über Jahrhunderte organisch gewachsen ist; wir dürfen betrachten wie sinnvoll und wie bereichernd Migration ist….. Und sie bedankt sich! Die Einzige Möglichkeit für ein einiges Europa ist die schrittweise Entwicklung aller einzelnen Länder, nicht deren Entvolkung. Man sehe sich die Wüste im Osten an, die diese Denkweise anrichtete. Aber: Immer weiter so!!! Abartig.

•    26.07.2012 11:02:52 Uhr   hans Pelke: Das nenne ich Optimismus
… in der Katastrophe das Gute finden. Und wenn ich mir die Zuwanderungszahlen ansehe, dann hab ich auch bald keine Sorge mehr bzgl. des Fachkräftemangels….
Mir fehlen die Worte

•    26.07.2012 10:59:31 Uhr   Stefan Schuster: Heimatlos
Auch wenn es linke BRD-Gutmenschen nicht wahr haben wollen, so hat die Heimat und der Bezug zur Herkunft für viele Menschen eine hohe Bedeutung: Die wenigsten Menschen aus Südeuropa würden ihre Heimat freiwillig verlassen wollen, wenn sie in ihren Heimatregionen Perspektiven hätten. Insofern ist der Artikel an Menschenverachtung nicht zu überbieten, sieht er in den Menschen doch wurzellose Arbeits- und Konsumobjekte, wo Herkunft und Identität keine Rolle spielt.

Quelle: FTD – 26.07.2012